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AVIVA-BERLIN.de im November 2024 - Beitrag vom 16.01.2006


Divinta und Tableaux Vivants
Ulrike Reinhard

"Weibliche" Bilder, Mode und Werbung. Die Inhaberin und Gründerin der whois verlags- & vertriebsgesellschaft, Ulrike Reinhard, im Gespräch mit Iris Brosch, international bekannte Modefotografin.




Fotos © Iris Brosch
Iris Brosch, international bekannte Modefotografin, inszenierte im Juni 2005 in Venedig "Divinta". Eine Hommage an pure Schönheit, weibliche Energie und Kraft, spielerische Leichtigkeit, spontane Eingebung, die Besonderheit des Einzelnen, unmittelbare Kommunikation und Interaktion, das "hier und jetzt".
Ulrike Reinhard sprach mit Iris Brosch über ihre Beweggründe für "Divinta", den Hintergrund und den Zusammenhang mit ihrer traditionellen Arbeit.
Ulrike Reinhard: Für was steht "Iris Brosch"?
Iris Brosch: Ich komme aus der Mode und der Werbung. Meine Auftraggeber sind u.a. Tommy Hilfiger, Hugo Boss, Ann Taylor, Vogue Italien, Spanien und Japan, Uomo Vogue, Elle France, New York Times u.a.m. Internationales Ansehen habe ich dafür erlangt, Frauen Kraft, Schönheit und Weiblichkeit in meinen Bildern zu geben. Ich habe in der Mode ein neues Bild der Frau kreiert. In meinen Bildern gefallen Frauen sich selbst, sie werden nicht durch die Sicht eines Mannes definiert. Dadurch entstehen sehr "weibliche" Bilder. Bilder, die außerordentlich "gefühlsgeladen" und ausdrucksstark sind.

Ulrike Reinhard: Was unterscheidet die Modefotografin Iris Brosch von der Künstlerin Iris Brosch?
Iris Brosch: Es ist für mich das Gleiche, ob ich an einer Modearbeit oder an einem
Kunstprojekt arbeite. Ich mache alles mit dem gleichen spirit. Ich lasse mich
ungern als Modefotografin oder Künstlerin kategorisieren, denn ich versuche mir
immer die Freiheit zu bewahren, mich außerhalb aller Systeme zu bewegen. Dies
ist die Kraft und Stärke meiner Arbeit!

Ulrike Reinhard: Wer hat deiner Meinung nach einen ähnlichen Ansatz wie du in ihrer Arbeit?
Iris Brosch: Ganz spontan würde ich sagen Virginia Woolf, Artemesia Gentileschi.

Ulrike Reinhard: Welchen Stellenwert haben Mode und Werbung in unserer Gesellschaft und welchen Einfluss hat dies auf Deine Arbeit?
Iris Brosch: Mode- und Werbefotografie produzieren Bilder, die unsere Gesellschaft formen. Jeder junge Mensch möchte so sein wie die Personen auf den Werbeplakaten.
Wir identifizieren uns bewusst oder unbewusst mit dem, was uns gezeigt wird.
Wir wollen ein Teil dieses Ganzen sein. Die Gefahr, die ich darin sehe, ist, dass wir mit Bildern, die nur aus "jungen, sexy Frauenkörpern" bestehen, eine Generation von Frauen kreieren, die keinen Intellekt und keine Seele haben. Eine neue Art von Unterdrückung. Dem möchte ich mit meiner Arbeit entgegen wirken.
Ich möchte neue, moderne, wirkungsvolle Bilder schaffen. Energie, Kraft, Inspiration soll von meinen Bildern ausgehen.

Ulrike Reinhard: Deine Performance "Divinta" war "L´art pour l´art". Welchen Einfluss hat die Kunst auf Deine Arbeit?
Iris Brosch: Mode, Werbung, Kunst verschmelzen immer weiter miteinander!
Das verstärkt ihre Wirkung.
Der Einfluss einer Werbekampagne auf die Gesellschaft ist zumeist bedeutender
als der einer Ausstellung im Louvre. Für mich hat Kunst die Aufgabe, Licht in die Gesellschaft zu bringen. Gerade auch im Rückblick. Wenn wir z.B. heute alte griechische Fresken anschauen, sagen sie uns etwas darüber aus, wie ein Grieche vor 2500 Jahren die Welt gesehen hat. Sein Weltbild ist durch diese Fresken erhalten. Genau so wird unsere Gesellschaft 2500 Jahre später auch wieder betrachtet.
Wer oder was wurde angebetet, was waren unsere Ikonen etc.? Sollen dies im Rückblick Frauen mit sexy Körpern ohne Intelligenz und Intellekt sein?
Oder depressive Kunstwerke? Jesus Christus, leidend am Kreuz, ist eines der
meist vervielfältigten Bilder unserer Zeit.
Wir sind leider dabei, nicht das beste Weltbild von uns selbst zu hinterlassen.
Es ist zuviel Zerstörung und Leiden darin. Wir sollten durch die Verschmelzung von Kunst, Mode, Musik an einem schöneren Weltbild arbeiten.
Mode, Kunst, Musik sprechen eine universelle Sprache, die jeder Mensch unabhängig von Religion, Hautfarbe, Nationalität, Geschlecht versteht. Richtig in Szene gesetzt oder, um in der Werbesprache zu sprechen, richtig vermarktet - können sie stärker als jedes politische System sein.

Ulrike Reinhard: Du hast in diesem Zusammenhang den Begriff des Tableaux Vivants geprägt. Was muss man sich darunter vorstellen?
Iris Brosch: Tableaux Vivants sind soziale Skulpturen, lebendige Bilder. Bilder, in
denen ich die Öffentlichkeit einbeziehe. Mit unseren Tableaux Vivants überspringen
wir die sozialen Unterschiede. Wir kommunizieren mit Menschen jeder
Altersstufe, Kultur unabhängig von Schicht und Bildungshorizont. Wir arbeiten
auch mit den Energien ihrer Reaktionen und können manchmal direkt ihre Gefühle
und Eindrücke spüren und dann auch verarbeiten.
Tableaux Vivants brechen Grenzen und Hierarchien auf. Die Rollen werden neu
gemischt.

Ulrike Reinhard: Wen willst Du damit ansprechen?
Iris Brosch: Jeden Menschen, jede Nationalität, jedes Alter, jede Religion, jede Hautfarbe, jedes Geschlecht. Das Projekt hat eine universelle Sprache.

Ulrike Reinhard: Was willst Du mit Deiner Aktion in Venedig aussagen?
Iris Brosch: Ich möchte die Herzen der Menschen berühren, ich möchte Kunst für Menschen machen, ich möchte Menschen in die "lebendigen Kunstwerke" einbeziehen. Die Menschen sollen Teil des "Schönen" sein, sie sollen sich im Spiegel, den wir ihnen vorhalten, sehen. Sie sollen sich selbst mit Liebe und Zärtlichkeit anschauen, sich selbst berühren. Ihre Ängste sollen verschwinden. Sie sollen an sich selbst glauben.

Ulrike Reinhard: Wie soll das Projekt weiter gehen?
Iris Brosch: "Divinta" ist der Anfang einer Reihe von Performances, die um die ganze Welt reisen wird.
Wir bauen ein Netzwerk von Museen, Marken und Sponsoren auf. Wir wollen alte und neue Kommunikationskanäle und -formen in ihren vielfältigsten Ausprägungen für das Projekt nutzen. Interessant wäre es, immer Models von den jeweiligen Orten zu nehmen. So hätten wir verschiedene Körpersprachen und Ausdrucksformen.
Das Material, das wir in Venedig produziert haben, soll als Versuchsmodell dienen.

Ulrike Reinhard: Was ist das "Neue" an Deinem Kommunikationskonzept?
Iris Brosch: Es ist die Verbindung all dieser Disziplinen wie Fotografie, Mode, Musik, Kunst, Tanz usw. bei gleichzeitiger Nutzung der unterschiedlichsten Kommunikationskanäle und -formen. Es ist ein wirklich integriertes Konzept, in dem selbst der "Konsument", der Betrachter, der Mensch als aktives Bestandteil einbezogen wird. Ein "weibliches Gesamtkunstwerk", das Energien freisetzt und uns an das Gute und Schöne glauben lässt.

Ulrike Reinhard: Welche Rolle könnten die so genannten Neuen Medien dabei spielen?
Iris Brosch: Ich könnte prinzipiell mit allen Neuen Medien arbeiten. Mobile, Internet, VR. Es wäre besonders reizvoll, in Teilbereichen zu experimentieren.

Ulrike Reinhard: Was hat ein Unternehmen davon, wenn es sich engagiert?
Iris Brosch: Ich denke, diese Art von Kommunikation eignet sich für international bekannte Markenartikel. Das Unternehmen würde neue Wege in der Kommunikation beschreiten, es würde einen sehr, sehr hohen Aufmerksamkeitswert in der Presse und beim Konsumenten bekommen. Mit diesem Konzept könnten Markenartikel ihren USP wahrhaft einlösen.

Ulrike Reinhard: Was ist deine Intention beim Fotografieren?
Iris Brosch: Meine Arbeit ist keine Reaktion sondern Reflexion. Ich bin der festen
Ãœberzeugung, dass die Illusionen, die uns heute von der Werbung und den
Massenmedien suggeriert werden, die Gesellschaft beklemmen und einschränken.
Sie verallgemeinern, schaffen Idealbilder, üben dadurch Druck auf den Einzelnen
aus und bringen Stress und Unzufriedenheit.
Als Folge verstärkt sich in der Wahrnehmung des Einzelnen die Differenz zwischen
Wirklichkeit und dem idealisierten Bild der Medien.
Hinzu kommt, dass die Medien im Ringen um die Aufmerksamkeit der Betrachter
eine neue Bildsprache geschaffen haben: Gewalt, Aggression und Schockierendes
bestimmen die Medien.
Davon möchte ich weg. Wesentlich für mich ist, dass ich das SCHÖNE, Gefühlvolle,
Feine, Klare in das Bild bringe. Auch oder gerade im Detail. Meine Bilder sollen
positive Energien freisetzen. Ich möchte das Unsichtbare sichtbar machen, auf
eine Weise, die sehr feinfühlig und zärtlich ist. Ich möchte eine neue
Bildlichkeit entwickeln, neue Perspektiven geben. Keine Gewalt, keine Aggressionen, kein Schockieren und trotz allem extrem stark!
Mit meinen Bildern fühlen die Menschen sich wohl, weil sich die Menschen in meinen Bildern wohl fühlen. Sie dürfen sie selbst sein, frei von Zwängen und vermitteln die Kraft der Selbstinszenierung.

Ulrike Reinhard: Was ist dein Verständnis von Schönheit, von positiver Energie -
was meinst du damit?
Iris Brosch: Schönheit ist ein emotional positiv belegter Begriff, der stark von
Wertvorstellungen und Bewertungszielen abhängig ist, die auch durch gesellschaftliche Konventionen geprägt werden. Diese Bewertung von schön
anhand gesellschaftlicher Konventionen betrifft sowohl den Einzelnen als auch seine Umwelt, es bestehen Interdependenzen und es sind Rückkopplungen
möglich - auf den Einzelnen und auf die Gesamtheit. Das heißt, diese Interdependenzen und Rückkopplungen können neue Konventionen bilden oder bestehende verändern. Ein Wertewandel ist möglich.
In der konkreten Ausprägung bedeutet Schönheit für mich: Bewahrung der eigenen
Identität und ausleben der eigenen Werte, in Einklang mit der Natur sein und
frei von Zwängen zu leben. Schönheit wird dadurch zu etwas sehr
Differenziertem, etwas das von Mensch zu Mensch sehr unterschiedlich ist.
Schönheit ist nichts Uniformiertes.
In meinen Bildern versuche ich dies zu transportieren. Ich gebe den Menschen in
meinen Bildern die Freiheit, schön zu sein, in dem sie sie selbst sind, ihre eigene
Schönheit zu entwickeln und eben nicht einem von außen kommenden Anspruch
hinterher zu laufen. Und die Betrachter nehmen das wahr - weil es eben nicht alltäglich ist. Sie spüren die Energie, die aus meinen Bildern fließt und bemerken
diese fantastische Dynamik, die sich aus den Unterschieden ergibt.

Weitere Infos: www.irisbrosch.typepad.com/divinita


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Beitrag vom 16.01.2006

AVIVA-Redaktion